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Seminar zu aktueller Rechtsprechung

Volles Haus und volles Programm bei den Arbeitgeberverbänden Ruhr/Westfalen: Zum Klassiker „Aktuelle Rechtsprechung zum Individual-Arbeitsrecht“ hatte der Vorsitzende Richter des Landesarbeitsgerichts Hamm, Peter Schmidt, 110 Folien zu jüngsten Entscheidungen deutscher Arbeitsgerichte mitgebracht. „Wenn wir fertig sind, sind wir wirklich fertig“, sagte Peter Schmidt zu Beginn zu den rund 70 Teilnehmern.

Peter Schmidt hatte Entscheidungen zum Individualarbeitsrecht, der AGB-Kontrolle, dem Bestandsschutz, dem Urlaubsrecht und dem Prozessrecht vorbereitet. Zu Beginn ging es um die Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von einem Praktikum. Im vorliegenden Fall war ein ausgebildeter Journalist mit Studienabschluss ein Jahr als Praktikant bei einer Zeitung auf 400 €-Basis beschäftigt. Er klagte nun auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und damit auf Vergütung nach Tarifentgelt in Höhe von 3000 € monatlich. „Grundsätzlich gilt: Der Praktikant ist in diesem Fall darlegungs- und beweispflichtig. Er muss darstellen, dass eben nicht - wie in einem Praktikum üblich - ein Ausbildungszweck im Vordergrund stand“, erklärte Peter Schmidt. Bei einer Praktikumsdauer von einem Jahr und dem bereits vorhandenen Studienabschluss des Klägers spreche indes viel dafür, dass es sich um ein normales Arbeitsverhältnis handelte. „Den Arbeitgeber kann in diesem Fall eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast treffen. Er muss darlegen, warum es sich im Wesentlichen um die Vermittlung von Kenntnissen handelt und es kein normales Arbeitsverhältnis ist. Deshalb empfehlen wir: Gestalten Sie das Arbeitsverhältnis so, wie man es vorab geplant und vereinbart hat. Wir kriegen bei Gericht ja nur die kaputten Fälle“, so Peter Schmidt.

Wann beginnt die Arbeitszeit?

Dies gilt auch für arbeitszeitrechtliche Streitigkeiten. So wie in einem Fall, in dem ein Arbeitnehmer, der über einen Personaldienstleister beschäftigt war, andere Zeitarbeitnehmer von einem festgelegten Treffpunkt zum Einsatzort fahren sollte. Der Fahrer war angewiesen, seine Arbeitszeit erst nach Erreichen des Treffpunkts festzuhalten. Er machte jedoch auch die Fahrt zum Treffpunkt als Arbeitszeit geltend. Das Gericht folgte seiner Argumentation. Peter Schmidt erklärte: „Der Weg zur Arbeit ist grundsätzlich Problem des Arbeitnehmers. Es gilt jedoch: Alles, was der Arbeitnehmer auf Weisung tut, schlägt um und wird zum Inhalt vertraglicher Pflichten. In diesem Fall gilt die Fahrt zum besagten Treffpunkt ebenfalls als Arbeitszeit.“ Überall dort, wo Tarifverträge existieren, könnten die Uhren dagegen anders gehen, so Schmidt weiter. „In der Chemie, der Papierverarbeitung sowie bei Metall und Elektro gibt es Regelungen zu Wegezeiten und Umkleidezeiten“, fügte dann auch Verbandsjurist Martin Beckschulze hinzu. Im Folgenden ging Peter Schmidt auf jüngste Urteile des Bundesarbeitsgerichts zur betrieblichen Übung, zum Annahmeverzug und zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ein. So kann ein nicht tarifgebundenes Unternehmen, welches die Tarifentgelterhöhungen in der Vergangenheit mehrmals weitergegeben hat, nicht angehalten werden, dies auch bei künftigen Tariferhöhungen zu tun. „Die fehlende Tarifbindung macht deutlich, dass der Arbeitgeber ohne vorherige Prüfung gerade keine Tarifentwicklung dynamisch weitergeben will. Ein Anspruch haben die Arbeitnehmer darauf nicht“, erklärte Peter Schmidt.

Offensichtlich einen Nerv der Seminarteilnehmer traf Peter Schmidt beim Thema Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und dem betrieblichen Eingliederungs-Management (BEM). Die vielen Nachfragen zu konkreten Fällen in Unternehmen zeigten: Das Thema ist ein echter Dauerbrenner. Zunächst aber hielt Schmidt fest: Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. „Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits zu dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsunfähigkeit führte“, führte er aus. Im weiteren Verlauf ging er auf die Kriterien ein, die bei der Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes für einen nach einer BEM-Maßnahme eingeschränkt einsetzbaren Arbeitnehmers beachtet werden müssen. Wichtig: Vor einer beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung sollte mit dem entsprechenden Mitarbeiter in den zurückliegenden 12 Monaten ein BEM durchgeführt worden sein.

Achtung bei Stellenausschreibung

Kurios, aber durchaus mit ernstem Hintergrund, wurde es beim Thema Entschädigungsverlangen nach §15 AGG. Ein Rechtsanwalt hatte sich bei einer Rechtsanwaltskanzlei beworben. In der Ausschreibung hieß es, die Kanzlei suche einen neuen Mitarbeiter in einem jungen und dynamischen Team. Nach erfolgloser Bewerbung klagte der Rechtsanwalt auf Entschädigung und Schadenersatz. „Der Rechtsanwalt war jedoch kein Unbekannter. Er war mit ähnlichen Verfahren bereits an anderen Gerichten bekannt“, so Peter Schmidt. Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass es auf die „subjektive Ernsthaftigkeit“ der Bewerbung nicht ankomme, der Arbeitgeber müsse vielmehr darlegen, welche Kriterien für ihn im Auswahlverfahren ausschlaggebend waren. „In anderen Fälle hat der Rechtsanwalt so bereits über 60.000 Euro an Entschädigung erhalten“, sagte Peter Schmidt, der an diesem speziellen Fall verdeutlichte: die Kriterien an den Rechtsmissbrauch haben sehr hohe Hemmschwellen. In der Folge diskutierten die Seminarteilnehmer die eigenen Stellenausschreibungen und fragten Peter Schmidt nach seiner Einschätzung. Schließlich seien Stellen in der Regel entweder für Berufseinsteiger oder „erfahrene Fachkräfte“. „Bei der Ausschreibung sollten Sie immer darauf achten, dass Sie kein verpöntes Kriterium wie Geschlecht, Alter, Religion etc. aufführen“, so Peter Schmidts genereller Tipp. Problematisch seien demnach auch Stellenausschreibung für zum Beispiel „Senior“ oder „Junior“ Controller.

Interessant war zum Abschluss eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Verwertung von Ergebnissen einer verdeckten Videoüberwachung. Im vorliegenden Fall wurde in einem Lebensmitteleinzelhandel nach erhöhtem Inventurverlust in der Warengruppe Zigaretten mit Zustimmung des Betriebsrats eine verdeckte Videoüberwachung vorgenommen, um den Diebstahlsverdacht gegenüber zwei Mitarbeiterinnen nachzugehen. Zuvor durchgeführte Taschenkontrollen führten nicht zur Aufklärung. Die Videoüberwachung ergab als Zufallsfund, dass die bislang nicht verdächtigte stellenvertretende Filialleiterin und Kassiererin sich unzulässig einen Pfandbon im Wert von 3,25 € bar auszahlen ließ. Die daraufhin ausgesprochene fristlose Kündigung wurde vom BAG bestätigt. Die heimliche Videoüberwachung sei zwar ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der stellvertretenden Filialleiterin gewesen. Sie war aber nach § 32 Abs. 1 S. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gerechtfertigt, da ein konkreter Verdacht gegen einen abgrenzbaren Personenkreis bestand und die heimliche Videoüberwachung das praktisch einzig verbleibende Mittel zur Aufklärung war. Der aus der Videoüberwachung resultierende Zufallsfund durfte daher auch nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG verwertet werden, da er für die Entscheidung über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich war. Da die verdeckte Videoüberwachung insgesamt zulässig war, durfte auch dieser Zufallsfund gegenüber einer bis dahin nicht verdächtigten Arbeitnehmerin verwertet werden. Insofern bestand kein Beweisverwertungsverbot.

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